Was unterscheidet "the greatest outdoor show on earth" von irgendeinem Provinz-Rodeo?
Wann sollte man was unbedingt sehen?
Wieso steht auf unserer Rodeo-Eintrittskarte "Beginn 1:30 pm" und im Programmheft "Beginn 1:15 pm".
Und ist das Planwagenrennen ein Programmpunkt unseres Rodeos oder eine separate Veranstaltung?
Und sollten wir noch weitere Veranstaltungen buchen?
Die kleine,
dicke Dame am Stampedde-Info-Stand ist zuckersüß, sehr aufgekratzt und hilfsbereit. Aber
ihre piepsige Stimme ist neben der dröhnenden Stimme ihres benachbarten
"Cowboy"-Kollegen nur mit Mühe zu verstehen.
Ihre Informationen
sind sehr hilfreich: Wir haben nur eine von vielen, vielen Veranstaltungen
der letzten 10 Tage gebucht. "Unser" Rodeo ist keine einmalige
Veranstaltung sondern nur ein Wettkampftag innerhalb der täglichen
Ausscheidungswettkämpfe. Heute ist der vorletzte Tag, vor dem morgigen Finale.
Einige Wettkampf-Sieger werden aber bereits heute feststehen. Wegen der
Siegerehrung sollten wir schon mit einer 4 - 5 stündigen Veranstaltung rechnen. Und
wir sollten definitiv um 13:15 Uhr auf unseren Plätzen sein. Das musikalische Vorprogramm wäre auf jeden Fall sehenswert!
"But
there are so many other Things to see!". Sie schlägt einen Geländeplan vom
"Stampede-Ground" auf. Und während sie erzählt kreist sie wirklich jeden farbig markierten Ort auf dem
Plan ein, jedes Mal mit einer ausdrücklichen Empfehlung:
Dort sind die
Verkaufs-Messehallen, da ist die Kirmes, dort eine "Fresshalle", hier
ein Indianerdorf, und da sind regelmäßige Musikveranstaltungen. Da die Austellung
mit Western- und Cowboy-Kunst. Ob wir an Landwirtschaft interessiert sind? Hier
ist die landwirtschaftliche Ausstellung mit Rindern,
Schafen und Schweinen. Ach ja und hier werden landwirtschaftliche Museumsstücke
vorgeführt! Nur da brauchen wir nicht hin: Das ist die
"Kinderverwahrhalle" (noch ein Kreis um den Ort wo wir nicht hin
müssen!). Ob wir schon gefrühstückt hätten? Am "Rope Square"
(eigentlich "Olympic-Plaza") gibt es von 10 - 12 Uhr ein
Cowboy-Frühstück: "It's for free!". Jetzt werden schon imaginäre
Kreise oberhalb des Plans auf die Tischplatte gemalt. Und noch ein paar Linien, weil
da und dort und hier finden Umzüge in der Innenstadt statt. Und da noch ein
imaginäres Kreuz wegen dem "public Squaredance". Und unterhalb des
Plans ein imaginäres Kreuz, wegen eines Zusatz-Feuerwerks am
"Heritage Park"! Uns schwirrt der Kopf!!!
Wir stellen vorsichtig die Frage,
ob wir irgendwelche zusätzlichen Eintrittskarten kaufen sollten?
Ja selbstverständlich: Das
"Chuckwaggon-Race" (Planwagenrennen) wäre ein großer Spaß! Und die
"Evening-Show" hätte sie gehört, wäre dieses Jahr besonders gut. Bei Interesses sollten wir
aber unbedingt bei Öffnung des Stampede-Grounds, um 11 Uhr, zur
Vorverkaufsstelle – noch ein Kreis um ein bereits eingekreistes Gebäude auf dem
Plan! Aber unsere Chancen noch Karten zu bekommen umschreibt sie zartfühlend als "gering".
"Woher
kommen sie? - Germany? How lovely! So - welcome to Calgary!!! Was sind sie von Beruf?
Betriebsrat! Oh, nice! How interesting!!!". DasGespräch gleitet jetzt irgenwie ab - sooo "nice" ist unser Beruf nun auch nicht. Wenn wir jetzt nicht
endlich den Absprung kriegen, können wir direkt wieder aufs Zimmer und
unsere Koffer für die Abreise vorbereiten!
Also: "Dank, Dank,
und nochmals Dank!" und raus mit uns.
Versuchen wir es also erst mal
mit dem "Breakfast for free". Allerdings mit niedriger
Erwartungshaltung - "Wat nix koss', dat taucht auch nix!".
Die Straßenbahn, der
"C-Train", ist auf der gesamten Downtown-Strecke umsonst. "Dat (!) koss' zwar nix, taucht aber trotzdem!". Drei Haltestellen später sind wir an der Haltstelle "City Hall", direkt gegenüber vom
"Rope Square"/Olympic Plaza.
Schon beim Aussteigen
hört man die Bühnenveranstaltung: "Yeehaw und Yahoo", Banjo- und
Fiddle-Klänge!
Unsere Erwartungshaltung
an das "Breakfast for free" wird nicht enttäuscht. Rund um den
"Olympic Plaza " und in den angrenzenden Straßen sind Gulaschkanonen
aufgebaut, auf denen fleißige Helfer Pancakes backen und Bacon braten. Vor
jedem Stand warten aber auch mindestens 100 Leute darauf, möglichst viel
davon abzubekommen! Ist doch überall auf der Welt das gleiche – kaum gibt's was
umsonst! Innerhalb einer Blitzsekunde entscheiden wir: Umsonst ist nicht billig
genug! Wir kaufen uns lieber unser Frühstück in einem Restaurant!
Ab in die benachbarte
"Stephen Avenue", wo sich schon wieder eine Menge Passanten zum Squaredance
gefunden hat! Alle tanzen mit sichtlichem Spaß zu den Sing-Sang-Ansagen des
"Callers"! Auch wenn nicht jeder Tanzschritt 100%ig sitzt.
Squaredance ist wohl eher was für Cowboystiefel, als für Flip-Flops!
Nach dem Frühstück wollen
wir mit dem C-Train endlich weiter zum Stampedeground! Aber wir haben keine Chance in die
Bahn zu kommen. Die bereits bei Ankunft volle Bahn fährt völlig überfüllt ab
und der Bahnsteig ist immer noch voller Menschen. Wir entscheiden uns
"un-amerikanisch/un-kanadisch": Wir gehen die 15 Minuten zu Fuß!
Da wir Eintrittskarten
für das Rodeo haben, brauchen wir keinen Geländeeintritt zahlen. Wir können
an den langen Kassenschlangen vorbei, direkt aufs Gelände.
Das Stampede-Gelände ist
unübersichtlich! Trotz Plan mit den vielen Kreismarkierungen der zuckersüßen Info-Dame,
fällt uns die Orientierung schwer. Wir wollen zuerst zum Ticketvorverkauf im
"BMO"-Gebäude. Die Vorverkaufskasse im "Official
Stampede-Shop" finden wir nur mit Unterstützung.
Die Kasse im Stampede-Shop ist im Gewimmel
erst gar nicht zu erkennen. Aber da! Da ist doch
eine kleine Warteschlange. 10 Leute, nein 15! Nein da geht die Schlange weiter,. Oh Mist die
stehen ja in einer Serpentine - dann ist dort wohl das Ende! Beim Näherkommen
entpuppt sich das Ende aber nur als kleine Lücke! Das Auge folgt dem Verlauf der Warteschlange, die ewig lange Treppe hoch! Ein Ende ist nicht zu sehen!
Mehrere hundert Menschen stehen hier für Tickets an! Da stehen wir ja mindestens 3
Stunden an, nur um dann zu erfahren, dass es nix mehr gibt?!? Das ist ja wie der
erste Verkaufstag zur "Lachenden Kölnarena"! Oder als wenn's in der
DDR Bananen gab! Dafür ist uns unsere Zeit zu schade! So
toll kann keine "Evening-Show" sein!
Bis zum Beginn des Rodeo
ist noch rund zwei Stunden hin. Starten wir einfach mal mit der großen Verkaufsmesse hier im "BMO-Centre". Vom Whirlpool zur neuen sensationellen Haarspange, von der
Handyhülle bis zum Massagesessel-Monster. Alles da!
Hah! Ein Verkaufsstand
für Cowboyhüte. Trotz traditionellem Westernhemd, sind wir ja immer noch fast
nackt! Unsere bisherigen Bemühungen in der Stadt waren immer vergebens:
Entweder waren uns die Hüte deutlich zu teuer oder sie passten einfach nicht.
Hier ist bereits Schlussverkauf. Zum Super-Schnäppchenpreis ergattern wir zwei
Hüte im - in Calgary üblichen - Naturweiß. Die passen auf Anhieb! Zwei schicke
Hutanstecker "100. Calgary Stampede" gibt's noch geschenkt dazu!
"Yehaaw" – jetzt kann's losgehen!
Am Verkaufsstand eines
Wohnmobilverkäufers sind wir fast schon wieder in Kaufstimmung. Wir können
endlich eins von diesen "Riesen"-Wohnmobilen von innen besichtigen. Dieses Modell hätte
den Namen "MONSTRO-GIGANTO-TRANSFORMER-WEEKEND-WARRIOR"
verdient!
Ein großes Wohnzimmer,
mit wuchtiger Leder-Couchgarnitur empfängt uns. Natürlich mit Großbildfernseher, darunter
ein großer offener Kamin mit elektrischem Flammenbild. Eine geräumige
Einbauküche, Typ "Gelsenkirchener Barock", separate Essecke mit 4
Stühlen. Waschmaschine und Wäschetrockner im Flur neben dem Bad. Das Schlafzimmer
mit großzügigem "Queensize"-Doppelbett und (natürlich!) Zweitfernseher.
Aber der "Thron" - die Toilette - steht frei im Durchgang,
zwischen Küche und Schlafzimmer! Was für ein Stilbruch! Das war ja in unserem
diesjährigen Motorhome der Marke "Heckenpenner" intimer gelöst! Nee,
gefällt uns nicht! Wir entschließen uns spontan, vom Kauf Abstand zu nehmen
Obwohl – wir kommen schon
wieder ins schwanken! Vor der Tür parkt die passende coole "10
m-Motoryacht" und die schicke PickUp-Zugmaschine im Geländewagenstil. Fürs
nachmittägliche Shopping oder fürs abendliche Ausgehen! Ob's das Gesamtpaket als
Ausstellungsstück zum Schnäppchenpreis gibt? Nee, egal! Die
Überführung ist uns zu teuer und der schockierende Klo-Anblick sitzt noch zu
tief!
In der Nachbarhalle
werden alle möglichen Monstrositäten als sogenannte "Western- und
Country-Kunst" angeboten. Wie wäre es denn mit diesem geschmackvollen
Sofa-(Alp)traum für euren repräsentativen "Livingroom"?
Nun müssen wir uns aber
langsam Richtung "Grandstand", zur Rodeo-Arena, bewegen. Der Weg
kann lang werden, wenn es an jeder Ecke was zu sehen gibt.
Hoch über dem Kirmesgelände kann
man an langen Stahlseilen hängend über das Gelände rauschen. Einige gönnen sich
den Spaß sogar kopfüber.
Eine wesentlich gemütlichere
Sessel-Seilbahn überspannt das weitläufige Gelände für die Lauffaulen und Fußkranken!
Die meisten anderen Fahrgeschäfte sind wie überall: Kinderkarussell, Wurfbude,
Riesenrad, ja selbst die Wilde Maus. Wie Kirmes in Oberkassel!
In der Lobby des
"Grandstand" gibt's endlich auch ein Bier! Allerdings nur
"Budweiser" im Plastikbecher, zum Schnäppchenpreis von 7,50 $! Und, völlig überraschend,
nur gegen Bargeld! Hoffentlich reichen unsere 70 Dollar Bargeld!
Kurz nachdem wir unsere
Plätze eingenommen haben, geht’s auch schon los. Die "Calgary Stampede
Showband" heizt die Zuschauer vor. Wie in Nordamerika üblich, eine
merkwürdige Mischung aus militärischer Marschformation und ungeordnet wirkendem
Chaos, heroischen Marschklängen und Rock'n'Roll und Pop. Begleitet von Cheerleadern mit
martialischen Holzgewehren, an Stelle von Tambour-Stöcken.
Aber finden
Außenstehende nicht auch die Riten der "roten Funken" merkwürdig? "Funke opjepass - De Knabbüß ...
gereuz"!
Nach der Showband nimmt auf
der leeren Bühne, auf eilends herbei geschafften Stühlen, eine illustre
Gruppe aus echten Mounties und Pseudo-Cowboys Platz. Blickrichtung Arena.
Die Parade der berittenen Royal Canadian Mounted Police wird mit militärischem Zeremoniell abgenommen. Gut 30
Mounties in feurig roten Uniformen, auf pechschwarzen Pferden, führen ein
beeindruckendes musikalisch untermaltes Ballet vor.
Jetzt ist noch die
Nationalhymne fällig. Das ganze Stadion erhebt sich ehrfürchtig und lauscht dem
Sänger (Jason Greeley: Super-Stimme!) und stimmt zum Ende
begeistert ein. "Oh Canada!"
Zum Schluss noch eine Salve
Feuerwerksböller vom Stadiondach – und es geht los!
"Bronco Saddelback Riding" - mit Sattel, "Bronco Bareback Riding" - ohne Sattel, auf wild bockenden Mustangs.
"Barrel Racing": Die Damendisziplin - Fässer-Slalom im gestreckten Galopp auf Zeit.
"Tie-Down-Roping": Ein Kalb aus vollem Galopp mit dem Lasso gefangen und an den Beinen fesseln. Natürlich auf Zeit!
"Steer Wrestling" - nennen wir es doch einfach mal "Kühe umschubsen". Der berittene Cowboy und ein Stier jagen zeitgleich los, der Cowboy hechtet vom Pferd auf den Stier und wirft den Stier um! Fertig! Wer länger als 4 ½ Sekunden benötigt, braucht gar nicht erst zu starten! Manchem Cowboy rennt der Stier aber sogar uneinholbar davon!
Und endlich, als Höhepunkt, das "Bull Riding"! Eindeutig die Lieblingsdisziplin des Publikums. Da kocht die Rodeo-Seele!
Zwischendurch die eine
oder andere Siegerehrung, mal für einen Cowboy, mal für ein Pferd.
Neben Uwe sitz tein Szenekenner! Mit jedem Bier wird der gesprächiger!
"Das ist das berühmteste Pferd allerzeiten.
Damit haben alle Cowboys zusammen schon über eine Million Dollar gewonnen!" - "Das ist der
wildeste Bulle allerzeiten!" - "Das ist die berühmteste Barrel-Racing Reiterin! In Kanda so berühmt wie Michael Schumacher in Deutschland!" - "Der Rodeo-Clown ist
der witzigste auf der Welt!" Der Szenekenner schüttet sich aus vor Lachen, wir finden dessen Witze á la <Kommt 'ne Frau beim Arzt ...> allerdings überhaupt nicht witzig! - "Nur in Las Vegas gibt's ein annähernd gutes Rodeo!" - "Rülps!".
Uwe flüstert: "So langsam wird der lästig!!!"
Das Rodeo nähert sich mit einem
"niedlichen" Kinder-Rodeo dem Ende. Viele Zuschauer verlassen bereits das
Stadion, während in der Arena noch 3er-Gruppen von Cowboy-Kids versuchen
ihre dackelgroßen Mini-Pferde einzufangen und zu reiten. Meistens werden die Kids jedoch von den
Pferden durch die halbe Arena geschleift. Und das(!) finden wir allemale lustiger als die platten Witze vom
Rodeo-Clown!
Wir brechen auf! Uwe's Rodeo-Fachmann lässt sich nicht nehmen, ihn per Handschlag zu verabschieden!
Noch ein wenig Kirmes-Bummel. Und der Besuch der Landwirtschaftsausstellung! Monströse
belgische Kaltblutpferde und ihre historischen Bierwagen. Landwirtschaftliche
Museumsstücke bei der Arbeit werden vorgeführt: Traktoren, Ackergeräte, Fuhrwerke.
Gigantische "Herford" Zuchtbullen und ihre Medaillen
in ihren Boxen! Gut, dass die Gatter einen stabilen Eindruck machen! Auf
Tuchfühlung möchten wir da nicht gehen! Diese Monster haben wenig mit unseren
schwarzbunten Holsteiner Milchkühen zu tun.
Der Besuch im
Indianer-/"First Nations"-Dorf ist nicht so sehr unser Fall. Viele
Wigwams, manche kann man auch innen besichtigen. Einige Tänze werden vorgeführt
und ihre mystische Bedeutung erklärt. Die Indianer sind echt! Aber die
Indianertrachten sehen alle irgendwie ein bisschen zu bunt und unecht aus. Türkis
-farbene Federn sollen authentisch sein? Vielleicht sind wir aber auch inzwischen
nur ein wenig zu müde oder übersättigt!
Wir versuchen in der
großen Fresshalle noch etwas zu essen und zu trinken zu bekommen. Aber vor
jedem Stand sind lange, lange, lange Schlangen! Da fahren wir doch lieber
nach "Downtown" und suchen uns ein gemütliches Restaurant und eine
nette Kneipe für ein paar Absacker!
Im
"Trib-Steakhouse" finden wir ein sehr gutes (wenn auch nicht gerade
billiges) dry-aged Steak. Noch ein paar Absacker im "Original Joe's",
ein gemütlicher Pub mit Livemusik und vier hauseigenem Biersorten. Die Zapfhähne für die hauseigenen Biersorten sind besonders originell dekoriert:
Eine Blondine hockt auf dem Pilsener-Zapfhahn, eine Brünette auf dem Brown Ale, eine Rothaarige für's Red Ale. Und ist der Zapfahn für's Weizen der Marke "Haus Frau" nicht besonders chic?
So langsam merken wir, wie uns der Tag geschlaucht hat. Das Feuerwerk wird auch heute Nacht, ohne uns stattfinden müssen!